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Interviews

2009

Matteo Cavalleri

Der Garten als performatives Projekt

Ein Vortrag von Matteo Cavalleri (Philosoph) und Collettivo Millepiani.


Guten Abend, zunächst möchte ich der Direktorin Angelika Stepken und atelier le balto für diese Einladung danken. Meine Position ist in einem gewissen Sinne exzentrisch, denn ich beschäftige mich weder mit Architektur, noch mit Landschaft oder Gartenkunst. Ich beschäftige mich hingegen mit politischer Philosophie und der Philosophie der Repäsentationsformen des urbanen Raums. In dieser Hinsicht trägt meiner Ansicht nach das Werk des Gartens eine sehr starke Sinnkomponente in sich und verlangt deshalb nach einer philosophischen Reflexion. Jedes menschliche Werk trägt ein philosophisches Element in sich, dieser Sinn liegt in der Fähigkeit des jeweiligen Werks, weiter entwickelt zu werden. Ich möchte deswegen mit einer Frage beginnen: Innerhalb welchen Paradigmas der Repräsentation des urbanen Raums, kann der Garten eine neue Form der Repräsentation dieses Raums bieten? Oder besser gesagt, wie kann der Garten aus der Repräsentationsform des urbanen Raums hervorgehen und der urbane Raum dabei aus der Form des Gartens?

Ich schlage die Verwendung des Begriffs METROPOLE - im Sinne einer dem urbanen Raum innewohnenden Qualität, also nicht eines Stadtmodells - als brauchbares Interpretationsinstrument vor, mit dem das aktuelle Statut der Repräsentation des urbanen Raums analysiert werden kann. Die heutige Metropole – im besagten Sinne – zeichnet sich durch eine sowohl tiefgehende wie auch kontinuierliche strukturelle Dishomogenität aus. Im Griechischen bedeutet Metropolis MUTTERSTADT und unterscheidet sich folglich essenziell von den Städten der Kolonien. Diese Dishomogenität wohnt folglich dem Raum der Metropole inne: Die Metropole genießt, im Gegensatz zur Stadt, weder die politische noch die urbanistische Isonomie: Sie kehrt die elementaren binären Formen grundlegend um: öffentlich /privat, Arbeitsplatz /Nicht-Arbeitsplatz, Grünflächen /bebaute Flächen. Laut Giorgio Agamben werden im Paradigma der heutigen Metropole diese Formen aufgelöst; die Metropole verschlingt ihre eigenen Repräsentationsformen. Dies wirft unvermittelt ein politisches Problem auf. Zwischen der Form des Raumes und der seiner Repräsentation und dem Maß an Demokratie, das unsere Lebensräume besitzen, existiert eine Parallelität.

Der deutsche Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde sagt, dass die Demokratie eine Regierungsform ist, die kontinuierlich ihre eigenen Voraussetzungen erodiert und zersetzt (zum Beispiel die sozialen Beziehungen). Das Gleiche gilt für die Form der Metropole: Heute zeigt sie sich als ungeordnete Anhäufung einer ganzen Reihe von Vorrichtungen, das heißt, von Subjektivationsprozessen, der Herstellung von Subjekten. Zum Beispiel: Ein Platz ist eine Vorrichtung, insofern er ein Individuum, das über ihn geht, in einen Bürger verwandelt, das heißt, in ein Subjekt. Dieser Prozess, der als regelrechter Kampf Mann gegen Mann zwischen Individuen und Vorrichtungen stattfindet, kann niemals neutral sein. Der Subjektivationsprozess bringt nicht nur freie und emanzipierte Identitäten hervor, sondern enthält immer auch eine Komponente der Unterwerfung.

Es gibt ein bezeichnendes Übersetzungsproblem vom Italienischen ins Deutsche in Hinsicht auf die Ambivalenz der Bedeutung von spazio pubblico (öffentlicher Raum) und luogo comune (Gemeinplatz), eine durch die Übersetzung erzeugte Verschiebung, die daraus entsteht, dass die beiden Begriffe im Deutschen ähnlich klingen: Der Platz ist ein spazio pubblico (öffentlicher Raum), denn er produziert ein Subjekt, droht aber zum luogo comune (Gemeinplatz) zu werden, wenn seine Fähigkeit, die Subjektivität einzuebnen und gleichzuschalten, zum Vorschein kommt. Dieses diskontinuierliche Spiel zu dritt, zwischen Vorrichtungen, Subjekten und Formen, löst nicht nur die Isonomie des urbanen Raums auf, er schafft auch ständig Ausschuss: Übrigbleibende Räume, die keinen klassischen planerischen Entscheidungen unterliegen. Nachdem mit Hilfe des Begriffs Metropole das Paradigma, in dem man ein performatives Projekt schaffen kann, umrissen wurde, stellt sich nun die Notwendigkeit, die Besonderheiten dieser Art von Projekt durchzuspielen. Das performative Projekt führt vor allem auch ein lexikalisches Problem mit sich, oder besser gesagt ein Problem der Sprechakttheorie. John Austin, der mit How to Do Things With Words eine der wichtigsten Abhandlungen über den Begriff der Performativität verfasst hat, sagt, dass eine performative Äußerung nichts beschreibt, sondern sobald sie getätigt wird, eine Handlung darstellt.

Es gibt keinen Bruch zwischen dem Inhalt einer Aktion und ihrer realen Implementierung. Eine performative Äußerung kann ein Satz wie "Ich verzeihe dir" sein, oder "Ich wette, dass es morgen regnet"; ich kann nicht sagen, ob die Aussage wahr oder falsch ist, aber in dem Moment, in dem ich sie tätige, habe ich eine Aktion vollbracht und eine Veränderung des Zustands der vorhandenen Dinge bewirkt. Eine performative Äußerung ist ein Tätigkeitsfragment, Sprache und Aktion fallen zusammen, es handelt sich um sprechen-handeln, sagt Austin. Hier kehrt die politische Dimension zurück, denn Performativität scheint die beiden Definitionen des Menschen von Aristoteles durchzuspielen: Der Mensch ist ein politisches Tier und der Mensch beherrscht die Sprache. Die performative Äußerung vereinigt sie: Wenn ich spreche, interagiere ich mit einem anderen Subjekt und bestimme ein Geschehen; ich beschreibe die Aktion nicht, sondern führe sie aus, indem ich eine Aussage mache. Ich denke, dass dieser Exkurs in die Sprechakttheorie hilfreich ist, um die dem performativen Projekt innewohnenden Eigenheiten zu umreißen. Ich versuche mich an einer Definition: Das performative Projekt könnte ein architektonisches Projekt sein, das im Jetzt seine Sinnmöglichkeiten erfindet; diese Möglichkeiten sind den Beziehungen des Geschehens dieses Projekts immanent.

Was bedeutet es, dass das performative Projekt seine Sinnmöglichkeiten im Jetzt findet? Es bedeutet, dass das Projekt eine reflexive Komponente enthält, die den klassischen Topos des Projekt-Settings aushebelt: Es gibt keinen Planer, der ein Projekt ausarbeitet, das Projekt ist nicht das Ergebnis einer Objektivierung, ein Produkt; der Planer befindet sich im Projekt und stört es unaufhörlich. Die Aussage des Projekts muss den Akt seiner Planung enthalten, die Geste des Planens. Man könnte auch das Prinzip der Indetermination von Eisenberg zur Illustration heranziehen: In dem Moment, in dem der Forscher das Untersuchungsfeld des Experiments betritt, stört er sein Existenzfeld und wird Teil dieses Felds. Daraus resultiert, dass man die Bewegungsmenge und die Position eines Teilchens nicht synchron feststellen kann. Der Planer befindet sich, im performativen Sinne, im Projekt selbst: Der Inhalt des Projekts kann gar nicht anders, als die Tatsache, dass gehandelt, geplant wird, in sich aufzunehmen.

Ich erinnere mich an die Performance von Veronique und Marc im Botanischen Garten von Bergamo: Sie hatten die Teilnehmer gebeten im Garten Kunstblumen zu streuen; in dem Moment, in dem jeder ein Blume hinlegte, fing er auf die eine oder andere Weise den Blick der Anwesenden ein und produzierte so ein Planungsfragment: Er veränderte den aktuellen Stand der Dinge. Wenn die Dinge so liegen, zwingt das performative Projekt – im Gegensatz zum am Zeichentisch ausgeführten Projekt – den Planer dazu, sich zu zeigen. Das performative Projekt ist also eine ursprünglich politische Geste: Hannah Arendt sagt, dass Politik dort entsteht, wo der Mensch manifest wird. Quelle der Politik wäre also nicht die Philosophie, sondern das Theater, die Tragödie. Der performative Planer lebt in gewisser Weise in einer epiphanischen Dimension der kontinuierlichen Manifestation. Er ist gezwungen, sich zu zeigen und hat folglich die Möglichkeit, der Handlung, die er selbst stört, zu folgen; er plant nicht am Zeichentisch, im Schutz eines Büros. Es ist, als begebe sich der Planer auf eine Reise übers Meer und steuere auf Sicht: Er irrt durch einen Raum, an dessen Veränderung er kontinuierlich beteiligt ist, er kann sich verirren (irren deutet sowohl auf eine Bewegung wie auf einen Fehler). Er segelt und begibt sich auf eine Entdeckungsreise zu neuen Beziehungen zwischen den Bildern des Realen. Wenn wir an die Sprachtheorien anknüpfen, könnten wir sagen, dass der Garten eine Art von Schrein möglicher Welten wird. Der Reise des Planers entspricht eine Reise des Projekts: Das Projekt versucht, im performativen Akt seines Geschehens, mit aller Kraft eine Harmonie der Beziehungen zwischen den soeben entdeckten Bildern des Realen zu finden. Sowohl die neuen Beziehungen als auch ihre Harmonie befinden sich zwar im Projekt selbst, verlangen aber unverzüglich nach einer neuen Deklination der Realität, rufen das Bedürfnis nach einer neuen Grammatik der Sicht der Dinge hervor.

Das Konzept von Jetzt (das performative Projekt könnte ein architektonischer Prozess sein, der im Jetzt seine Sinnmöglichkeiten erfindet) eröffnet auch eine Reflexion über das zeitliche Element. Wir könnten an den Garten als einen Raum denken, in dem Gegenwart und Vergangenheit zusammenleben: Eine Art geschichtete Vertikale, die im performativen Projekt ohne irgendwelche philologischen oder historischen Absichten untersucht wird. Die Performativität empfiehlt dem Planer den Garten als ein Bild voller Zeit, eine Konstellation, wie Walter Benjamin sagen würde, zu betrachten, in dem Vergangenheit und Gegenwart ständig nach einem Berührungspunkt suchen. Die Konstellation muss man als den Versuch auffassen, innerhalb einer lebendigen Beziehung einen Moment der Vergangenheit mit einem Moment der Gegenwart zu verknüpfen. Wir könnten sagen, dass die performative Kunst des Gartens sich durch eine gebündelte Intensität ausdrückt, die – auch wenn sie in verschiedene Bereiche wie die Politik, das Soziale und die Ästhetik hineinreicht – auf der ständigen Suche nach der temporären Berufung eines Raums ist. Der Begriff Berufung trägt in seinem Inneren die Öffnung hin zum Möglichen: Damit das Mögliche erhalten bleibt, ist eine Berufung notwendigerweise temporär. Der Raum ist es nicht, die Berufung dieses Raums hingegen schon. Das performative Projekt muss also in der Lage sein, seine eigene Berufung zu widerrufen: Sich dem Problem der Widerrufung einer Berufung zu stellen, ist nötig, damit sowohl die Bedeutung des Gartens als mit Zeit erfülltes Bild als auch seine Öffnung hin zur Möglichkeit erhalten bleibt.

Zum Abschluss möchte ich eine Überlegung unterbreiten, die zu einem weiteren Übersetzungsproblem führt, das mit dem englischen Verb to perform verbunden ist. Performing the Border ist ein Werk der Züricher Künstlerin Ursula Biemann, ein Videoessay von 1999 über die free-trade-zone, die an der Grenze von Mexiko und den Vereinigten Staaten entstanden ist. Es handelt sich bei diesem Werk um eine filmische Untersuchung dieses Grenzgebiets, in dem die maquiladoras wuchern, riesige Industriebetriebe, in denen vor allem Frauen arbeiten.

Der Ausdruck performing the border (der schwer ins Italienische oder Deutsche zu übersetzen ist) drückt die essentielle Komponente aus, die jeder Raum enthält (die das Subjekt des to perform erfährt) und beschreibt gleichzeitig auch das, was die Künstlerin als Gegen-Geographie beschreibt: Der Versuch, von den subjektiven Linien ausgehend, die dieser Raum enthält, eine Geographie zu schaffen, ein Bild des Raums. Biemann scheint anzudeuten, dass ein Raum eine subjektive Komponente, oder genauer gesagt eine subjektive Bedingung, in sich trägt. Die border existiert in dem Moment, in dem jemand sie überschreitet; gleichzeitig erzeugt, verändert und zerstört sie (immer öfter), wenn sie überschritten wird, Subjektivität. Im Raum findet eine ständige Interaktion statt, ein Kampf Mann gegen Mann einer objektiven und einer subjektiven Komponente.

Ich denke, dass im räumlich /zeitlichen Paradigma der Jetztzeit, dessen kurze Beschreibung ich versucht habe, der Garten unter performativen Gesichtspunkten eine raue, durchlässige, bedeutende und destabilisierende Erscheinung sein kann: Eine Sinnmöglichkeit, die dahin drängt, neue Formen der Darstellung des urbanen Raums zu suchen und, gleichzeitig, in diesen Raum vielgestaltige, vitale und temporäre Gegen-Geographien einzuflechten.

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