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Mittelmeer-Dialoge

2017

Farkhondeh Shahroudi

Ein begehbares Gedicht

Farkhondeh Shahroudi, Villa Romana-Preisträgerin 2017, im Gespräch mit Angelika Stepken.


Wenn man Deine Skulpturen anschaut, ist man zunächst gebannt von der Figur - ein Mensch, ein Vogel, eine Steinschleuder. Aber mindestens ebenso wichtig erscheint mir die Ebene der Sprache in Deiner Arbeit, bzw. der Sprachlosigkeit, aus der ein großer Schmerz spricht - ganz offensichtlich bei dem Vogel aus Teppichresten, der keinen Schnabel hat, aber unterschwellig auch in vielen anderen Arbeiten und natürlich in Deinen Büchern.

Ich finde, die Sprachlosigkeit in meinen Arbeiten ist selber wieder eine Sprache. Ich spreche das an und verwandele es in eine visuelle Sprache. Ich bemühe mich immer um Kommunikation, einen Weg zu finden, um tote Buchstaben zum Leben zu erwecken, damit eine Verbindung zum Anderen entsteht.

Bei Deiner Arbeit mit den vielen schwarzen Handschuhen am Boden (Backside Riding into the Wave, Calm black Pearls, Waves Breaks Full Moon, 2016) assoziiert man spontan die Sprach- und Hilflosigkeit der Flüchtlinge, die im Meer treiben. Aber Sprachlosigkeit erscheint in Deinen Arbeiten nicht nur als die der Anderen, sondern auch als eigene.

Das ist mein Thema, deshalb greife ich auch zu verschiedenen Medien. Wenn ich mit einem Medium keine Kommunikation herstellen kann, greife ich zu einem anderem. Das Gefühl, dass ich sprachlos bin, dass ich nicht sprechen kann, dass ich stottere, taucht oft auf bei mir.

Man könnte sagen: Sprachlosigkeit ist immer am Anfang von Kunst, sie sucht Ausdruck jenseits gegebener Formulierungen. Es kann aber auch sein, wie Du gerade mit dem Stottern andeutest, dass Sprache stockt aufgrund von Emotionen, zum Beispiel, weil das Entsetzen zu groß ist, um noch davon reden zu können. Dann gibt es eine Sprachlosigkeit im sozialen Kontext, dass bestimmte Menschen keine Stimme oder kein Gehör finden. Spielen all diese Ebenen eine Rolle bei Dir?

Ja, sehr stark auch, dass man öffentlich sprachlos ist und ich dann im Studio meine mündliche Stimme in eine andere Richtung, in eine andere Sprache übertrage.

Deine Medien sind vor allem Skulptur und Schrift, manchmal führst Du beides zusammen in Buchstaben-Arbeiten.

Ich bemühe mich, meine eigene Sprache immer neu zu erfinden.

Du hast als Künstlerin angefangen mit der Malerei. Deine Textarbeiten sind bis heute gesättigt von bildhaften Assoziationen oder Szenerien.

Ich verstehe das, was ich mache, als dreidimensionale Malerei oder dreidimensionale Gedichte. Sie sind aus meiner Malerei herausgesprungen in den Raum.

Deiner Ausstellung bei Lottozero in Prato hast Du den Titel Spacial Poetry - Text and Textile gegeben.

Meine Arbeit ist für mich ein begehbares Gedicht, in dem man herumlaufen und das man erleben kann.  

Das Spannende an Deinen Arbeiten ist ja, dass sich viel mehr überträgt als man am Objekt selber beschreiben könnte. Bilder, Emotionen, Erinnerungen werden wachgerufen.

Ja, vieles kommt aus meinem Gedächtnis-Archiv, von dem ich zunächst gar nichts weiß. Erst wenn ich anfange, lasse ich mich total frei in diesem Einbildungsraum, so dass die Bilder mich mitnehmen und ich sie dann bearbeiten kann.

Während des Künstlergesprächs in Prato hast Du gesagt, dass Du eigentlich nirgendwo bist, wenn Du arbeitest, und nur so Dein persönliches Archiv aktiviert werden kann.

Ich mag das, weil ich dann total frei und unabhängig bin. Nichts gehört mir und alles gehört mir. Ich bin total fremd und nehme, was ich will, und lasse, was ich nicht will.

Wie wichtig ist für Deine Arbeitsweise Deine eigene Migrationserfahrung in den 90er Jahren, ist sie präsent in Deinem Gedächtnisarchiv?

Innerhalb meiner Arbeit findet eine ständige Migration statt, die Bilder migrieren, kollaborieren. Meine persönliche Migration war sehr schwer, aber die Erfahrung ist etwas, das mich bereichert hat und in meiner Kunst sehr anwesend ist. Mein Archiv hat sich damit vergrößert.

Du lebst jetzt seit über 20 Jahren in Deutschland. Bleibt Deine Herkunft aus dem Iran eine wichtige Ressource für Deine künstlerische Arbeit?

Ja, aber wenn ich diese Ressourcen dann behandle, wird es ein Mix.

Du arbeitest mit Stoffen und Teppichen, hier hast Du auch angefangen, Leder und Kunsthaar zu verwenden. Wie verbindet sich das Schreiben mit diesen Web-, Flecht- und Knüpftechniken?

Text und Textil sind für mich gleich, sie sind verwoben. Text folgt in meiner Arbeit zwei unterschiedlichen Konzepten. Es gibt zwei Arten von Büchern: die Stoffbücher, die ich mit der rechten Hand zeichne und schreibe, und dann die Papierbücher, die ich in Deutsch mit der linken Hand schreibe.

Die Stoffbücher sind in Farsi geschrieben?

Ja, und die Schrift ist in diesen Arbeiten normalerweise unlesbar - so wie Erinnerungen, die sich schichten und dann manchmal nicht mehr lesbar sind. Das Schreiben mit der linken Hand ist indes ein automatisches Schreiben, lesbar, aber nicht unbedingt verständlich für jemand anderen. Ich kam von der Sprachlosigkeit dazu, meine eigene Sprache in Deutsch zu erfinden.

Deine Texte sind bildhaft und zugleich fragmentiert, seziert. Der Moment des Schnitts und neu Zusammenfügens (wie beim Nähen) zieht sich durch viele Deiner Arbeiten und Medien. Es gibt dieses Video mit den kurzen Strichen, die wie Nadeln erscheinen (I, 2008-2012)…

Der Strich kann das Aleph sein oder das I wie Ich, es ist ein Strich wie die Haare, wie jede Strähne in den neuen Arbeiten. Jede Naht setzt sich aus diesen Strichen zusammen, sie sind Zeichen, wie ein Buchstabe. Meine Arbeit hat für mich aber auch etwas mit dem Theater zu tun. Manchmal ist es ein stummes Theater.

Warum Theater? Interessiert es Dich als ein vom Publikum entrückter Raum?

Im traditionellen iranischen Theater vermischen sich Schauspieler und Theaterzuschauer, sie sind nicht voneinander getrennt. Meine Erinnerungen sind für mich ein Theater. Ich kann mich erinnern: als Kind nimmst Du alles, was ringsum fremd ist, als Theater wahr. Oder wenn Du nachts wach wirst, erscheint Dir Deine Umgebung als ein Schattentheater.

Wenn Du anfängst zu arbeiten, weißt Du schon: das wird eine Blume, ein Körper?

Mein Inspirationsraum hat keine Grenzen, manchmal sind es zwei Kinder, die zusammen spielen und mich inspirieren. Erst entsteht ein Bild, dann springt es aus meinem Kopf in den realen Raum und dann muss ich schauen, wie das, was im Bild entstanden ist, bearbeitet wird. Das ist eine ständige Kommunikation mit mir selbst. Manchmal fange ich an, mache es kaputt und fange wieder neu an.

Wie kam es jetzt zu der Verwendung neuer Materialien, Körperstoffen wie Kunst-Haar und Leder?

Beide Materialien sind tote Stoffe. Es ist wie mit den Buchstaben: erst sind sie tot und dann kommen sie mit der Kunst ins Leben. Ich habe lange überlegt, warum die Bücher für mich so wichtig sind und erst spät gemerkt, dass es eine Erinnerung gibt: Als Kind erfuhr ich, dass mein Vater als junger Mann einen Buchladen in seiner Stadt hatte. Während des Putsches in den 1950er Jahren haben die Schah-Anhänger seinen Buchladen in Brand gesteckt. Wenn ich diese Bücher und Buchstaben mache, ist es irgendetwas gegen den Tod, etwas, das weiterlebt.

Hat Dein Vater jemals wieder eine Buchhandlung betrieben?

Nein, aber er blieb ein Buchliebhaber.

Du hast in Florenz auch ein neues Motiv aufgegriffen, das der Flagge, aus Stoffen oder Haarzöpfen gefertigt.

Ja, eigentlich sind diese Flaggen für mich Anti-Flaggen, widersprüchlich, paradox.

Flaggen demonstrieren öffentlich Zugehörigkeit, was interessiert Dich daran? Du bist mit einer paradoxen Haar-Flagge durch Prato gelaufen.

Nein, meine Flaggen bedeuten nicht Zugehörigkeit

Wenn sie im Ausstellungsraum abgestellt werden, demonstrieren sie eigentlich einen Mangel, eine Abwesenheit.

Die kleineren Flaggen, die ich gewebt habe, kann man gar nicht halten. Ich hatte noch keine Zeit, mich selbst mit diesen Flaggen zu analysieren. Als 17, 18jährige habe ich gegen den Schah demonstriert, vielleicht hat es mit dieser revolutionären Farkhondeh zu tun.

Magst Du etwas sagen über Deine Zeit hier in der Villa Romana, in Florenz?

Mein Eindruck ist, das die Villa Romana genau der doppelte Raum von dem war, wo ich mich normalerweise befinde, dieser Raum, in dem ich mich total freilasse. Die Villa verdoppelte das. Es ist, als würde ich hier blühen. Es war wie eine Explosion. Ich hatte hier viel Raum, viele Möglichkeiten, meine Ideen weiter zu entwickeln.

Weil die Villa solch ein geschützter, der Kunst gewidmeter Raum ist? Was macht diese Doppelung aus? Praktisch bist Du auch hier in einem Studio wie Du in Berlin in Deinem Studio bist.

Ja, es ist wahrscheinlich irgendetwas Psychisches, dass ich mich hier so frei entfalten kann. Dass ich genug Raum habe und sehr viele liebevolle und sehr gastfreundliche Menschen ringsum. Diese Gastfreundlichkeit ist für mich sehr wichtig, dass ich mich eingeladen fühle. Das Atelier in Berlin ist ein geschlossener Raum, niemand erfährt, was ich da mache.

Du hattest hier also mehr Resonanzen?

Ja, ich spürte hier stark diesen Widerhall und das ist sehr wichtig für einen Künstler.

Spielt es eine Rolle, dass die Villa Romana in Florenz ist und nicht bspw, in der Lüneburger Heide?

Ja, es gibt hier einen sehr schönen Garten. Ich schaue durch das Fenster immer auf die Zypressen.

Du hast oft gesagt, dass Dich die Zypressen und das Licht an den Iran erinnern.

Die Zypressen hier sind wie eine persische Miniatur. Mein Großvater hatte auch solch einen Garten. Wenn wir ihn aus Teheran kommend in seiner kleinen Stadt besucht haben, war das für mich als Kind immer sehr faszinierend. Der Garten ist ein imaginärer Raum. Teppiche sind Gärten, die Du überall mit Dir mitnehmen kannst.

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