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Interviews

2020

Robert Gabris

Insectopia und andere widerständige Körper

ein Gespräch zwischen Robert Gabris, Gastkünslter in der Villa Romana im September und Oktober 2020 und Angelika Stepken


Robert, wenn man sich Dein Portfolio anguckt, dann sind (fast) alle Deine Arbeiten geprägt von einer enormen Spannung zwischen einer Zartheit und einer Widerständigkeit. Und das betrifft sowohl die Motive (z.B. Insekten und Pflanzen) wie die Themen und Materialien, etwa wenn Du mit Deinem eigenen Blut zeichnest.

Ich verstehe mich vor allem als Zeichner. Ich habe hier in Florenz zum ersten Mal performativ gearbeitet. Ich habe irgendwann beschlossen, auf Papier zu zeichnen und das als mein Ausgangsmedium, meine Sprache zu verstehen. Mein Konflikt ist, dass die Arbeiten immer sehr schön erscheinen, ich quasi mit dieser Schönheit kokettiere. Der Gegenpol ist das Konzept, das Thema, die Geschichte - die oft sehr brutal sind und unangenehm auf den Betrachter wirken. Ich habe die beiden Monate hier in der Villa Romana genutzt, um zu fragen: Wie kann ich weiter gehen, noch präziser werden?

Was meinst Du damit?

Präziser in der Übersetzung dessen, was ich denke, dass es nicht nur so schön übertragen wird.

Es gibt frühe Arbeiten von Dir, deren Sprache, z.B. in der Radierung, viel expressiver war …

Ich versuche, für jeden Gedanken ein eigenes tool zu finden. Ich bin auf dem Weg und möchte noch sehr Vieles ausprobieren. Wenn man - wie ja alle Künstler - in diesem Betrieb von Ausstellungen unterwegs ist, ist man versucht, eine sichere Hand anzulegen. Man versucht, effizient zu arbeiten mit der Sicherheit, dass dann alles für die Ausstellung wirklich klappt. Man experimentiert selten. Solche Residencies sind gut dafür, einmal etwas ganz anderes auszuprobieren - auch wenn es am Ende möglicherweise scheitert. Ich glaube, mir ist die Arbeit hier besonders gelungen, weil ich nicht vorab den Anspruch hatte: Diese Arbeit muss jetzt fünfmal ausgestellt werden.

Du hattest die Arbeit hier zwar nicht geplant, bist aber mit kleinformatigen Körperabdrücken auf Papier angereist. Dann passierte alles ganz schnell: die Übertragung der Körperabdrücke in Lebensgröße auf weiße Seidenbahnen, der Schritt, Deinen Körper quasi skulptural zu bearbeiten und ihn dann performativ in Bewegung zu setzen…

Ja, ich bin ohne Plan gekommen und hatte nur diese acht kleinen Skizzen, die mir viel zu schön erschienen als dass ich damit meine Wut und andere Beweggründe ausdrücken könnte. Ich muss-te also diese kleinen Insekten größer zeichnen und sie mussten hässlich sein. Ich wollte ein Gefühl von Ekel erzeugen, etwas, was man gar nicht berühren möchte. So habe ich angefangen, meinen Körper auf Seidenbahnen zu abzudrucken. Als die Stoffdrucke fertig waren, ergaben sie eine Bühne. Das hat mir ganz neue Türen aufgemacht. Was wäre, wenn ich dieses Insekt wäre? So fühle ich mich. Ich habe dann versucht, mich selbst zu paralysieren. Dafür habe ich Seile eingesetzt und mich verknotet bis zu dem Moment, wo ich mich nicht mehr bewegen konnte. Erst dann habe ich die Arbeit wirklich gefühlt, gemerkt: Das ist das, was ich fühle.

Dich selbst zu immobilisieren wie ein totes Insekt, ist das ein Ausdruck des Widerstands gegen feste Zuschreibungen und Objektivierungen?

Es geht um eine totale Zuordnung und Klassifizierung, dass wir immer unter einem Label gezeigt werden.

Mit wir meinst Du wir Roma oder eine allgemeine Queerness? Beide Erfahrungen - die Queerness und die als Roma - sind ja beide tief in Deinen Körper eingeschrieben und motivieren Dich in Deiner künstlerischen Arbeit.

Ich werde immer zugeordnet, entweder als queer, weil es gerade eine Ausstellung zu diesem Thema gibt, oder als Roma, weil die Roma Community das gerade braucht. Ich wünsche mir für meine Zukunft, dass ich nicht als schwuler Mann oder als Roma ausgestellt werde, sondern als ein guter Zeichner, zu welchem Thema auch immer. Vielleicht brauche ich ja keine weitere Rechtfertigung?

Gegen diese Zuschreibungen wehrst Du Dich in und mit Deinen Arbeiten?

Ja, viele Ausstellungen sage ich ab, wenn ich fühle, dass sie berechnend konzipiert sind. Ich bin ein bisschen müde, meine Arbeit ständig begründen zu müssen, warum es wichtig ist, über eine Roma-Problematik zu sprechen.

Andererseits ist diese Problematik ja erst seit kurzem überhaupt in der öffentlichen Diskussion, seitdem Ausschlusskriterien, Black Lives Matter, rassistische Blicke usw. zur Sprache kommen.

Wir sind die erste Generation von Roma-Künstlerinnen und Künstlern, die ausstellen und eine laute Stimme haben. Unsere Großeltern sind im Holocaust gestorben, deren Kinder waren traumarisiert. Ich komme aus der Slowakei, wo es den Roma im Sozialismus nicht erlaubt war zu sprechen. Unsere Eltern haben sich geschämt und uns auch unsere Sprache nicht mehr beigebracht. Sie wollten uns als weiße Bürger erziehen. Wir sind die erste Generation, die aufgestanden ist und nachfragt: Was ist passiert in der Geschichte? Ich glaube, auch der Kunstmarkt verändert sich gerade und findet dieses The-ma sehr interessant. Alle möglichen Ausschreibungen richten sich an postkoloniale Thematiken. Die Frage ist nur, was möchte ich damit machen und wen möchte ich damit ansprechen? In meinem Land, der Slowakei, gibt es einen enormen Rassismus und es ist wichtig, dort Menschen in Galerien und Museen zu erreichen.

Du profitierst also einerseits von einer aktuellen Resonanz im Kunstbetrieb, willst aber eigentlich andere Menschen erreichen. In der Slowakei, die nur 5 Millionen Einwohner hat, leben bis zu einer Million Roma in totalen Ghettos.

Ich bezeichne mich als aktivistisch, meine Arbeit gehört nicht in kommerzielle Galerien. Das heißt, ich suche nach Räumen, wo meine Stimme gehört wird.

Du sagtest, hier im Pavillon hätten Deine Seidenbahnen plötzlich einen Raum, eine Bühne ergeben. Mir fällt eine andere Arbeit ein, die Du gerade im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart ausstellst: das große Bild, das den Raum Deines Vaters zeigt und eigentlich auch ein imaginierter Bühnenraum ist. Es gibt frühere Arbeiten, in denen Du die Tattoos Deines Vaters in Radierungen übertragen hast. Und dazu hast Du ein Zitat Deines Vaters gestellt, der seinen Körper als innermost space bezeichnete - weil er gar keinen Zugang zu öffentlichem Raum hatte. Körper ist für Dich Thema und Medium zugleich.

Es ist ein schwieriges Thema. Ich habe mich hier im Glaspavillon in totaler Einsamkeit erlebt, in einem Raum, der für diese Zeit mir gehörte. Es geht mir immer um die Isolation von Körpern und ihre Grenzen und Freiheiten. Mein Vater hat 20 Jahre lang im Gefängnis gelebt, währenddessen bin ich im Kinderheim aufgewachsen. Wir beide haben uns in sehr isolierten, weißen Räumen aufgehalten. Die weiße Gesellschaft hat uns darein gesteckt, weil sie uns irgendwie reparieren wollten, weil mein Vater nicht erziehungsfähig und ich nicht erziehbar war. In der Slowakei bezeichnet man uns Roma bis heute als nicht anpassungsfähige Menschen. Das weckte bei mir ein erstes Gefühl von Widerstand, das ich seitdem wie in einer Flucht, in einem Tunnel in der Kunst bearbeite. Ich bin überzeugt, dass Menschen, die keine Familie hatten oder sehr isoliert aufwuchsen, eine ganz neue Körperlichkeit entwickeln. Die probiere ich aus. Es ist schwierig, darüber zu sprechen, weil es so intim und verletzlich ist.

Ich sprach eingangs von der Zartheit Deiner Arbeiten, vielleicht sollte ich besser sagen:  Verletzbarkeit und Fragilität. Das Schöne, mit dem Du kokettierst, ist das ein Mittel des Trosts, der Heilung?

Ich selber mag und muss das nicht definieren. Aber in Zeiten wie hier während der Residency kommen solche Momente wieder aus mir heraus. Ich arbeite normalerweise sehr strategisch und manipulativ und schaue, dass ich zu meinem Ziel komme, ein sehr guter Künstler zu sein. Hier war ich zwei Monate lang aus allem total herausgezogen, das war eine super Möglichkeit, mich wieder neu aufzuladen, wie eine Bombe. Es ist wahr, dass dieses Roma-Thema so wichtig ist. Ich habe es mir nicht ausgesucht, ich war in diesem Raum, bevor ich entschieden habe, welche Identität ich mir aussuche.

Hättest Du eine Chance haben können, nichts damit zu tun zu haben? Zu sagen: das ist solch eine Horrorgeschichte, wie Roma ausgegrenzt, vergast und bis heute ghettoisiert werden, ich lasse alles hinter mir? Gibt es diese Freiheit?

Bei mir nicht. Aber ich glaube, viele machen das so und das ist toll. Aber ich strebe mich so gegen diese Gesellschaft und ihre Normen, dass ich nichts anderes machen kann. Ich habe mich als Kind immer gefragt: Warum sind wir in diesem Raum, warum sind wir anders, warum werden wir gehasst? Niemand konnte mir antworten.

Du bist ja nicht in einer Roma Community groß geworden, sondern in einem weißen Kinderheim. Das heißt, dass Dir eigentlich auch Deine Community fremd war - und ist?

Ja, obwohl meine Kinderheim-Community eine Roma-Community war, von 60 Kindern waren 58 Roma Kinder -  in einem sehr artifiziellen Raum. Wir durften nicht Romani sprechen. Niemand hat uns die Roma Geschichte gelehrt. Wir wussten nur, dass wir gehasst werden. Die Menschen im Dorf haben die Hunde auf uns gejagt. Dieses System der Kinderheime scheitert total. Ein Großteil der Kinder kehrt mit 18 Jahren in die Communities zurück, die sie überhaupt nicht kennen. Sie sind mehrfach traumarisiert, bis sie groß werden. Wir brauchen unser ganzes Leben, um diese Kindheit zu verarbeiten.

Diese Kinderheime existieren bis heute in der Slowakei?

Ja, sie heißen heute anders, aber sonst ist vieles so geblieben. Die 1980er /90er Jahre in der post-sozialistischen Slowakei waren extrem hart für die Roma, darüber spricht bis heute niemand.
Ich möchte, dass Menschen unsere Geschichte verstehen, sonst werden sie nie aufhören, uns zu hassen.

Du sprichst immer von der Slowakei als Deinem Land, obwohl Du inzwischen in Wien lebst.

Ja, Wien ist eine heile Stadt. Dort habe ich Frieden, einen Aussenblick, kann die Thematik bearbeiten und damit in die Slowakei blicken und weiter einen wichtigen Beitrag leisten.

In der Slowakei ist offiziell ein Zehntel der Bevölkerung Roma, das ist keine Minderheit.

Das ist der Wahnsinn, wir leben dort seit 800 Jahren zusammen und keiner kennt uns. Sie wissen nicht einmal, wie sie uns nennen sollen. Ich glaube, wer in einer weißen Familie aufwächst, dem wird kein anderes Wissen als Hass gegen die Roma vermittelt. Das habe ich auch an der Mittelschule, an der Universität in Bratislava und von Professoren zu spüren bekommen. Sie leben in einem rassistischen System und es ist normal für sie, nicht mit uns zu sprechen. Dagegen habe ich mich gewehrt, aber niemand hat mich verstanden. Ich dachte, ich werde verrückt.

Wann hast Du für Dich die Möglichkeit gesehen, Künstler zu werden, Kunst zu studieren?

Ich habe schon als Kind immer gezeichnet, ich war ein sehr einsames Kind. Ich kannte natürlich keine Künstler und war nie in einer Galerie, bis ich 15 war. Ich habe immer behauptet, ich werde ein Künstler, ohne zu wissen, was das bedeutet. Als ich 14 war und aufs Gymnasium kam, habe ich mir eine Kunstschule ausgesucht. Von da ab war ich mir sicher, Künstler zu werden. Ich hatte schon mit 12 einen Zeichen-Preis gewonnen und war so stolz. Schwierig wurde es, als ich aus dem Kinderheim entlassen wurde und mit 20 Jahren erstmals meine Familie besucht habe.

Vorher konntest oder durftest Du sie gar nicht besuchen?

Ich habe den Wunsch vorher nicht gespürt. Mein Vater hatte mir Briefe geschrieben, warum er mich nicht besuchen konnte. Irgendwann verstand ich dann, dass ich dorthin gehen musste.
Meine Familie wohnt in der Ost-Slowakei, ich bin dorthin gefahren und es war traumatisierend. Ich habe lange gebraucht, um zu verarbeiten, was ich dort gesehen habe.

Du meinst diese Ghetto-Situation?

Ja, das ist kaum vorstellbar. Sie leben dort in einer absoluten Armut ohne irgendeine Möglichkeit, daraus zu kommen. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, bevor ich überhaupt darüber reden konnte.
Ich habe Menschen gesucht, um darüber zu sprechen. Aber es ist ein gigantisches Tabu in der Slowakei. Es gibt in der Slowakei sogar einen Studiengang Roma Studies, aber über diese Realität wird nicht gesprochen. Ich fand keine Antworten auf meine Fragen. Ich nahm mir vor, mit meinem Vater zu sprechen und habe dann die Arbeit mit den Tattoos gemacht. Das war der Anfang, es war meine Profil-Arbeit, die am meisten ausgestellt wird. Es war eine sehr direkte, beschreibende Arbeit.

Vor allem ist Deine Ästhetik dort noch eine andere, viel düsterer, illustrativer, expressiver, noch nicht so konzeptualisiert.

Ja, die Ästhetik habe ich von meinem Vater übernommen. Er hat in den Briefen an mich sehr viel gezeichnet. Die Ruhe, meine Arbeit weiter zu entwickeln, habe ich dann erst in Wien gefunden, in einem Land, das - wie in Deutschland - der Kunst eine Wertschätzung und Unterstützung zukommen lässt.

Und was passiert, wenn Du Deine Arbeiten heute in der Slowakei ausstellst? Welche Resonanzen findest Du?

Leider muss ich dann immer sehr viel über die Roma sprechen, das ist so notwendig. Ich gebe quasi Lectures, weil die Leute mich fragen: Robert, die Kunst ist toll, aber wer sind denn die Roma?
Ich hatte gerade eine Ausstellung in Kosice, eine sehr wichtige Ausstellung, und ich musste sehr viel reden.

Deine neuen Arbeiten sind konzeptueller, abstrakter. Wenn man die Insektenzeichnungen anschaut oder Deine neue Arbeit hier in Florenz, muss man nicht gleich oder überhaupt den Bogen zu den Roma in der Slowakei ziehen.

Ja, das ist auch eine Form des Widerstands. Ich möchte mich nicht als Roma-Künstler bezeichnen.  Deshalb versuche ich, das Thema allgemein gültiger zu behandeln im Sinne von Ausgrenzung und Isolation.

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