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Ausstellungen

21.09.                     23.09.2014

Giovanni Cioni

Drei Filme
BABYLON, Berlin

Erstmals wurden in Deutschland drei Filme von Giovanni Cioni präsentiert, die im Mai 2014 – neben einer installativen Präsentation seiner "Stummfilme zum Hören" unter dem Titel La Rumeur du Monde – in der Villa Romana zu sehen waren.

Der Filmemacher Giovanni Cioni, in Paris geboren, hat lange Zeit in Brüssel gelebt und ist seit zehn Jahren im Mugello bei Florenz ansässig. Cioni schafft in seinen Filmen ein einzigartiges Kino des Realen, indem er Lebensgeschichten Stimmen gibt und diese unvorhersehbare Räume generieren. Seine Bilder schaffen eine Realität, die erst im Film Wirklichkeit wird und diese zugleich transformiert. Cioni hat Anthropologie und Kommunikationswissenschaften studiert und lernte bei Jean Rouch die Kunst des Dokumentarfilms.

"Giovanni Cioni ist ein Filmemacher des Verlusts von Bezügen. Fern von allen Gewohnheiten wird er zum Forscher und verwandelt die Welt um ihn herum in unbekannntes Territorium. Sein Blick erschüttert den Kodex des Dokumentarischen. Er vermengt die Fährten von Realität und Fiktion. Er kreiert neue Räume, neue Zeiträume, in denen sich Menschen wie aus einem kaum wahrnehmbaren Anderswo zeigen." (Carlo Chatrian, April 2011)


21. September, 16.00 Uhr
CinemAperitivo

PER ULISSE
2013, 90 min

Ein Sozialisierungszentrum in Florenz, frequentiert von ehemaligen Drogenabhängigen, entlassenen Gefangenen, Obdachlosen, Menschen mit psychiatrischen Erfahrungen. Ich besuche es seit einigen Jahren, als ob ich adoptiert worden wäre von etwas, was wie ein Hafen erscheint. Manche verschwinden, manchmal tauchen sie nach Monaten wieder auf oder kehren nie wieder. Andere landen, mit ihrer Geschichte.

Ich war eingeladen, Interviews zu führen und schlug vor, einen Film mit ihnen zu erfinden. Jeder ist mit seinem eigenen Erlebten allein. Wir können es uns einbilden. Ich beschwor die Reise des Ulisses. Ulisses, der verschwunden ist, der zur Beute für Ungeheuer und Sirenen wird, der aus dem Reich der Toten wiederkehrt. Sein Name ist Niemand, und dieser Niemand erzählt sich.
"Es ist kein Film  über sie, sondern mit ihnen und für sie, auf den Spuren der Wanderschaft des Ulisses. Cioni bewegt sich auf homerischer Fährte, die als Urszene des modernen Menschen betrachtet wird. Das Verlangen, Herr des eigenen Schicksals zu sein. Beute eines unendlichen und unerschöpflichen Kommens und Gehens. Ulisses, der erste, den der Schwindel erfasst tausend Namen zu haben und den Namen, der alle negiert. Niemand. Bewusst verschwinden zu können, ohne Spuren zu hinterlassen. So bewegt sich der Film von Cioni, als ob er einem entfernten musikalischen Echo folgen würde.

Von der homerischen Lyrik zur Epik, den Roman streifend, das bürgerliche Epos, die Cioni nur dazu dienen, das Scheitern eines Modells zu klären, um anschließend wieder die Lyrik zu umarmen, den Gesang als Zeichen des Widerstands. Giovanni Cioni, ein Meister des zeitgenössichen Kinos des Realen, bringt mit seiner Geste Pasolinische Ergriffenheit, die Atonalität eines Alberto Grifo und die historische Härte eines Franco Maresco zusammen. Per Ulisses ist ein herausragendes Werk und beispielhaft in seiner allermenschlichsten Radikalität." (Giona A. Nazzaro filmtv n8, 2014)


22. September, 20 Uhr
IN PURGATORIO
2009, 69 min

Der Film ist inspiriert vom Kult des Fegefeuers in Neapel. Mittels der Erzählung des Umherschweifens, von Begegnungen, gelebten Geschichten, Zeugnissen, Träumen, geleben Orten ist er ein Eintauchen in die Frage, die der Kult aufwirft. Wir müssen wissen, das wir existiert haben. Die Seele des Fegefeuers ist ein Bewohner dieser Welt. Der Tote, der keinen Namen hat, der im Schlaf erscheint und zwischen den Lebenden herumirrt. Der Unbekannte, den man in der Menge kreuzt, das Gesicht des Verstorbenen auf dem Foto. Der Andere. Einer der Anderen in jedem von uns. Ich bin ein Bewohner dieser Welt. Ich bin einer dieser Anderen.

"(…) Was in Purgatorio zu Tage tritt ist die extreme Fragilität eines jeden von uns angesichts der Existenzfrage, dieser einzigen und einzigartigen, nackten und bestürzenden Wahrheit, mit der uns der Film nicht alleine lässt, sondern sie mit uns teilt. Es gibt wenige Dokumentarfilme, die sich dieser existentiellen Thematik annehmen, ohne sie gleich in gesellschaftliche Perspektiven einzuschreiben, sondern die Pein und Zerbrechlichkeit des Einzelnen, seine Einsamkeit und sein Herumirren erwidern und sie uns erleben lassen." (Anne Feuillére, cinergie, 6. November 2011)

"Giovanni Cioni benutzt die Kamera als eine Möglichkeit der Fürsprache zwischen beiden Welten und denen, die sie bewohnen. Als ein Medium. Leise fragt er Männer und Frauen nach ihrem  Glauben und ihren Träumen. Er bezeugt das Flüchtige, das Ungewisse und verliert sich in den  Verrückungen, die diese Geschichten inspirieren."
(Dominique Wideman, L'Humanité, 1 Februar 2012)


23. September, 18.30 Uhr
NOUS/AUTRES
2003, 72 min

Die Geschichte von Helga und Yann, alten jüdischen Flüchtlingen in Brüssel. Eine Reise, bei der sich die Erinnerung mit der Gegenwart konfrontiert. Das Viertel in Brüssel, in dem sie ihre Existenzen wieder aufgebaut haben, wo andere Flüchtlinge wohnen, andere Migranten. Die Anderen (Nous/Autres)… Der Film  ist ein Puzzle, in dem Fiktion und Dokumentation es erlauben, die Frage nach dem Anderen zu stellen, dem Anderen, der wir selbst sind, und nach dem widersprüchlichen Verhältnis zwischen Erinnerung und Gegenwart.

"Eigenartig und verstörend entwickelt Nous/Autres eine überraschende und wirkungsvolle Inszenierung des Realen. Indem er die theatralische Einführung hinter sich lässt, wird die Beobachtung der Wirklichkeit  vor allem eine Angelegenheit persönlicher Fiktionen.

Giovanni Cioni konserviert im Laufe der dokumentarischen Narration Spuren davon, bestimmte Fremde werden in die Begegnungen mit Yann und Hlega eingeführt. In diesem Oszillieren zwischen Fiktion und Realität bricht der Film mit dem Interview-Effekt und gibt der Erzählung ein Gewicht und eine Kohärenz, die nicht gleichgültig lässt.
Indem er an der Theatralisierung des Erlebten arbeitet, gelingt es Giovanni Cioni, den Betrachter nicht nur in ein Verhältnis der Sympathie gegenüber den schwierigen und widersprüchlichen Abläufen, sondern in einer sehr stringenten Art auch in die Fragen des alltäglichen Exils und des gewöhnlichen Rassismus zu verwickeln.
Ein Kino der Verantwortlichkeit, erfinderisch und nie vorhersehbar. Nous/Autres entwirft einen neuen und befremdenden Blick auf ein Thema, von dem uns das Dokumentarkino oft nur ein konventionelles Bild gibt und das wirkliche Problem auslässt. Bei Nous/Autres ist das nicht so und das ist sehr gut." (Philippe Simon, Cinergie, Dezember 2003)

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