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Ausstellungen

18.11.                      20.12.2011

Marey Effekt

Emanuele Becheri, Ruben Bellinkx, Daniela De Lorenzo, Carlo Guaita, Davide Rivalta, Oleg Tcherny, Erwin Michelberger

Kuratiert von Alessandro Sarri

Lecture: Rinaldo Censi Ableitungen aus der Mimesis: Marey und die Bewegung am 18. November 2011 um 18.30 Uhr
Katalogpräsentation und Performances von Emanuele Becheri, Daniela De Lorenzo und Ramona Caia, Davide Rivalta bei der Finissage am 20. Dezember 2011

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Davide Rivalta, Lupo (2010), Bronze

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Carlo Guaita, Ohne Titel (Colossus) (2011), Blei, Tinte, Papier, Schnur, 20 x 12 x 15 cm

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Ruben Bellinkx, The musical chair (2007), 16 mm/DVD (still)

Etienne-Jules Marey (1830-1904), der berühmte französische Arzt und Physiologe, wird als eine der herausragenden Persönlichkeiten im Bereich des Studiums menschlicher Bewegungsabläufe und der Bewegung allgemein angesehen. Durch die unaufhörliche Entwicklung immer weiter perfektionierter Instrumente versuchte er, eine gewisserweise anomale Motorik einzufangen, die zwischen Bewegung und Stillstand, Ruhe und Anspannung, Zeit und Raum liegt: vom Vogelflug über die Gangart der Pferde und Aufzeichnungen der Phasen des Blutflusses bis zum Studium der Bewegung von Luft und Gezeiten und zur Zergliederung des menschlichen Bewegungsablaufes. Eine kontinuierliche Inszenierung dessen, was das Auge niemals wird wahrnehmen können: die subliminale Motorik a priori, welche die Netzhautrentention nur als Epiphänomen, symptomatisch, als situative Umsetzung einer Konsequenz erfassen kann. Man denke an die sogenannte Chronofotografie, bei der es sich weder um einfache Fotografien noch um einfache Bewegungsphänomene handelt, sondern um ein Bild unterschiedlicher simultaner Haltungen des sich bewegenden Subjekts, das auf einer einzigen Platte aufgenommen wird. Die angebliche Bewegung scheint das auszuführen, was sie nie über sich selbst wissen wird, genauer gesagt, den Moment eines Aktes, der dank seiner unbezwingbaren Unmittelbarkeit kein Apparat je wird sichtbar machen können. Hierin besteht der Zwangscharakter des narrativen Paroxysmus von Marey: der Versuch, gerade die Unmöglichkeit des Zeigens von etwas zu zeigen, den puren Akt, der im selben Moment verschwindet, in dem er sich in etwas zu verkörpern scheint, das ihn unausweichlich verdeckt, entfernt und in eine beliebige Vorzeigbarkeit verschiebt.

Eben das, was hier als Marey-Effekt vorgestellt wird, was im Effekt als Bild verborgen bleibt und es von innen heraus infiziert. Etwas, das per se unfilmbar und mit keiner immanenzphilosophischen Voraussetzung zu verwechseln ist, die vor der Bildwerdung existiert und sie leitet. Wenn wir von Unfilmbarkeit sprechen, beziehen wir uns auf diesen Anteil von Anwesenheit, der sowohl der Anwesenheit als der Abwesenheit unerschütterlich innewohnt, den Akt nämlich, den die Zwanghaftigkeit des französischen Wissenschaftlers versucht herauszuarbeiten, trotz und mit Hilfe der Falle des Bildes, das nichts anderes tut, als zu erscheinen, um seinem Nichts-sein-wollen Einhalt zu gebieten und es einzukreisen, seinem Nichts-sagen-wollen, seinem Nichts-zeigen-wollen, anders gesagt, dem absoluten Verbot, irgend etwas zu präsentieren oder zu repräsentieren. Der Hinterhalt, den Marey dem Akt zu stellen versucht – dabei mehr oder weniger unbewusst den sogenannten Positivismus zu seinen extremsten Konsequenzen treibend – führt zu einer mise en abyme der Niederlage, des wenn auch unvollständigen Versuchs das sichtbar zu machen, was er nicht sichtbar machen kann, durch das, was er nicht nicht zeigen kann: Das Bild, das von etwas befallen ist, was nicht mitteilbar ist und sich folglich darauf beschränkend, ein Werk des Freistellens zu vollbringen angesichts der Unmöglichkeit einer direkten Auseinandersetzung.

Diese Darstellung der Unmöglichkeit einer Darstellung will sich die Arbeit von sechs Künstlern aneignen, die mit Videos, Filmen und Installationen versuchen zu beleuchten, was vom Akt überlebt in seinem Eingeschlossensein im dargelegten Verbot der eigenen Öffnung. Der vollendete Akt, der nicht akzeptiert und keine Grenzen überschreitet, der Marey-Effekt eben, stumm und undurchdringlich, durch den keine Veränderung beschritten werden kann und der sich (nicht) zeigt, sich (nicht) erfüllt, außer in der Obszönität, die vom eigenen nicht darstellbaren Nichts zur Darstellung gebracht wird.

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